Vollmond ist nicht so mein Ding. Ich kann mich nicht daran erinnern, ob ich Vollmond-Zeiten in den ersten 50 Jahren meines Lebens je Beachtung geschenkt habe. Ich habe eine blasse Erinnerung daran, dass mal jemand, mit dem ich einst die Schlafstätte teilte, gleichzeitig mit mir wach wurde, sich rekelte, aus dem Dachfenster sah und sagte: „Ach guck, das gelbe Schwein ist auch schon wieder da“.
Heute ist das so, dass der Vollmond meinen Schlafrhythmus etwa eine Woche lang durcheinanderbringt. Dazu muss man vielleicht wissen, dass ich in der Regel etwa zehn bis elf Stunden täglich mit Schlaf verbringe – außerhalb der Vollmond-Woche ist die Hauptphase zwischen Mitternacht und 7 Uhr morgens, dazu kommen dann noch zwei weitere Schlafzeiten, häufig zwischen 12 und 14 Uhr und 17 und 19 Uhr. Ist so, kann ich nicht ändern, stört mich auch nicht. Ich bin ja in der durchaus glücklichen Lage, dass ich schlafen gehen kann, wenn ich müde bin oder erschöpft oder beides. Was mich aber irritiert: ich träume wirres Zeug. So wirr, dass ich mitunter an die Zeit erinnert werde, in der ich im Koma gelegen habe.
Nehmen wir mal den Traum von heute – es ist 5.32 Uhr am Dienstag, 7. Juli. Ich sitze in einer Zeitungsredaktion. Eine Zeitungsredaktion, auch das sollte man wissen, ist ein Platz, in dem ich viel Zeit meines Lebens verbracht habe. In Zeitungsredaktionen stehen halbvolle Kaffee- und Teetassen, immer. Lokalzeitungsredakteure bringen es nicht übers Herz, Tassen, die in den Restmüll gehören, auch in den Restmüll zu werfen. Es ist ein ungeschriebenes Gesetz in deutschen Zeitungsredaktionen, dass jeder Redakteur pro Monat mindestens eine Tasse mitbringen muss, die wahlweise selbstgetöpfert ist, und/oder ein Blumendekor, ein Garfield-Foto, einen Aufdruck wie „Nie mehr 2. Liga – Werder 1982“ oder einen Sinnspruch wie: „Montag – Nur noch fünf Tage bis zum Wochenende“ enthält. Diese Tassen überleben auch jeden Umzug, jeden. Ich glaube ja, dass es durchaus einen Zusammenhang zwischen diesen Kaffeetassen, vollgemüllten Schreibtischen und der inhaltlichen Qualität einer Zeitung geben könnte. Für viele Redakteure ist ein Schreibtisch mehr Trutzburg als Arbeitsplatz. Es wird sich ja wohl irgendwo noch ein Gummibäumchen/Kaktus/bitte um Pflanze der Wahl ergänzen finden, den wir aufs Batik-Deckchen stellen können.
Aber ich wollte ja über Träume reden: An der Wand der Zeitungsredaktion in meinen Traum hängt eine Normaluhr, also eine Uhr, wie wir sie von Bahnhöfen kennen. Ticktack, ticktack, ticktack. Zu jeder vollen Stunde hält der Zeiger so ein, zwei Sekündchen inne und springt erst dann um. Ansonsten läuft der Zeiger gleichmäßig. Auf zwei Computer-Bildschirmen vor mir sind vier leere Zeitungsseiten angezeigt, die ich offenbar füllen soll. Ich bin der einzige, der an diesem Abend in der Redaktion sitzt; offenbar hat jemand bei der Urlaubsplanung und der Planung der freien Tage der Redakteure nicht wirklich aufgepasst, oder jemand wollte mich ärgern. Wie konnte das passieren, frage ich mich, war ich das, der den Plan gemacht hat? Ich verstehe nicht so recht, was und vor allem, wie ich das machen soll. Das Computersystem kenne ich nicht. Offenbar handelt es sich um Sportseiten für den Lokalteil einer Tageszeitung. Vier Sportseiten für die Mittwoch-Ausgabe einer Lokalzeitung? Wer hat sich das denn ausgedacht?
Was die Zeitungsleute, vor deren leerem Bildschirm ich sitze, nicht wissen: Ich bin in der Redaktion gar nicht angestellt; ich werde auch gar nicht dafür bezahlt, dass ich da bin. Ich werde keine Artikel redigieren, die Überschriften haben wie: „Der FC will nicht verlieren“, „der Aufsteiger strebt einen Punkt an“ oder „Zahlreiche Bemühungen standen im Mittelpunkt“. Ich sitze da nur, weil Vollmond ist und ich einen schlechten Traum habe. Dann wache ich glücklich auf, gucke aus dem Fenster, denke an das gelbe Schwein und brühe mir einen frischen Kaffee auf. Ich muss nur noch die Tasse finden.