London im Juni

Ich mag Großbritannien, das sollte man wissen. Ich habe Freunde, die dort leben; die meisten habe ich über soziale Medien oder bei verschiedenen Musikveranstaltungen kennengelernt. Sie sind über die Jahre Freunde geworden und geblieben; wir sind in Kontakt. Seit 2012 war ich etwa 15mal in England, häufig für ein Wochenende, aber auch – wie 2012 und 2018 – für mehrere Wochen. Ich behaupte nicht, dass ich Großbritannien verstehe.

Das habe ich am 16. Juni geschrieben
An diesem Wochenende sind Gruppen von Männern in den Straßen von London unterwegs, die sagen, sie müssten Denkmäler schützen. Ich nenne sie in der Folge jetzt einfach mal Männer, und nicht Horden und Idioten. Die Denkmäler sind vor diesem Wochenende von der Polizei und der Stadtverwaltung mit Holz verkleidet worden. Vor den Denkmälern stehen Polizisten in Uniformen, die auch die Denkmäler schützen – und zwar vor denen, die sagen, sie wollten die Denkmäler schützen. Vermutlich ist das britische Gründlichkeit.

Einige der Männer sagen, sie müssten die Denkmäler schützen, weil Churchill die Nazis besiegt hat; aber einige der Männer, die Churchill bewundern, tragen Tattoos mit Nazi-Symbolen auf ihren Armen, in ihren Gesichtern oder auf ihren beeindruckenden Bäuchen. Viele Männer haben Plastiktüten mit Bierdosen bei sich, mit Bier aus Deutschland, den Niederlanden, Belgien und Irland. Irgend etwas muss die Männer geärgert haben. Sie werfen mit den Bierdosen auf die Polizisten und treffen die Holzverkleidung der Denkmäler. Wenn sie geworfen haben, heben sie den rechten Arm in die Höhe, offenbar um an den Nazi-Gruß zu erinnern. Den Arm öffentlich zu einem Nazi-Gruß zu heben, ist in Deutschland eine Straftat, das Werfen von Bierdosen auf Polizisten – nur zur Erinnerung – auch. Wer in Deutschland mit dem Nazi-Gruß gesehen wird, muss vor Gericht. Die Strafe beträgt in der Regel ab 500 Euro, es kann aber auch eine Gefängnisstrafe nach sich ziehen.

Ich gebe gerne zu, dass es an dieser Stelle mit dem Verständnis etwas schwierig wird. Männer, die sagen, sie müssten denjenigen beschützen, der die Nazis besiegt hat, lassen sich Hakenkreuze auf den kahlen Schädel brennen und zeigen öffentlich in der Londoner Innenstadt den Nazi-Gruß.

Viele der Männer sind offenbar Fußballfans, sie tragen Trikots ihres Lieblingsvereins. Diese Vereine, das muss man wissen, sind Teil eines weltweiten Geschäfts, das manche immer noch als Sport verstehen. In der Mehrzahl gehören die englischen Clubs russischen Oligarchen, Saudi-Arabischen Scheichs oder Asiatischen Immobilien-Maklern. In den Vereinen der ersten englischen Liga – der Premier League – sind 65 Prozent der Spieler aus dem Ausland, und nicht selten gibt es in der Liga ein Spiel, bei dem kein einziger Brite in der Startelf steht.

Das ist interessant, wenn man weiß, dass Großbritannien ein neues System einführen will, das regeln soll, wer künftig im Vereinigten Königreich arbeiten darf, vor allem aber wer nicht. Mindestens 25.400 Pfund Sterling müssen die pro Jahr verdienen, die künftig in England arbeiten möchten. Das entspricht in etwa dem, was der deutsche Fußballprofi Mesut Özil bei Arsenal London verdient, allerdings pro Tag. 25.400 Pfund Sterling sind aber nicht das Jahresgehalt, das ein rumänischer Obstpflücker oder eine polnische Krankenschwester in England verdienen können. Die müssen draußen bleiben. Deshalb verrotten auf den englischen Feldern das Gemüse und die Erdbeeren, und in den Krankenhäusern ist jede fünfte Pflegestelle nicht besetzt. Kannste dir auch nicht ausdenken.

Großbritanniens Premier-Minister Boris Johnson sagt: In meinem Land gibt es keinen Rassismus. Er sagt noch nicht mal mehr so etwas plattes wie: Ich verurteile Rassismus, oder: Rassismus hat in unserem Land keinen Platz. Er sagt einfach, es gibt keinen Rassismus. Das ist ja so eine kleine Populistenmacke, was man nicht sieht, gibt es nicht.

Einer der Männer, die an diesem Wochenende in den Straßen unterwegs sind, wird dabei fotografiert, wie er direkt neben eine Gedenktafel pinkelt. Wer viele leere Dosen trinken will, muss sie vorher austrinken. Die Gedenktafel erinnert an den Polizisten Keith Palmer, der 2017 bei einer Terrorattacke auf das britische Parlament ermordet worden ist. Ich kann mir jetzt ganz ehrlich nicht wirklich etwas widerlicheres vorstellen, höchstens jemandem dabei zuzuschauen, wie er auf einer Beerdigung in ein offenes Grab pisst. Aber es gibt in England Menschen, die sagen, was sollte der Mann denn machen, die öffentlichen Toiletten seien ja wegen der möglichen Krawalle geschlossen gewesen.

Einige der lustigen britischen Medien schreiben später, das sei alles halb so wild und keine Demonstration von rechten Vögeln und Hooligans gewesen. So sieht das auch Priti Patel, seit Juli 2019 britische Innenministerin. Über ihre Tattoos ist nichts bekannt.

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Autor: Markus Kater

Rentner, Jahrgang 1962, ehemaliger Zeitungs-Journalist, Soul-, Jazz und House-DJ, Schaumburger.

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